Am 13. August 2022 gedenken wir zum 61. Mal dem Bau der Berliner Mauer. Zu diesem Anlass haben wir Prof. Dr. Axel Klausmeier, Direktor der Stiftung Berliner Mauer, drei Fragen gestellt.
Herr Prof. Klausmeier, als Direktor der Stiftung Berliner Mauer haben Sie ein besonderes Verhältnis zum Jahrestag des Mauerbaus. Dieser wird am 13. August zum 61. Mal begangen. Wie verändert sich das Erinnern an den Mauerbau über die Jahre?
Staatliche Gedenktage sind wichtige Instrumente, um einer breiten Öffentlichkeit Geschichte und historische Daten und Kontexte zu vermitteln. Niemals aber sind sie losgelöst von aktuellen Diskussionen und Fragestellungen. Jede Generation stellt immer wieder neue Fragen, und so ist die Kontextualisierung historischer Fakten eine beständige Aufgabe für die Gedenkstättenarbeit und die historisch-politische Bildung.
Heutige Fragen an die Geschichte stellen sich völlig neu, und spätestens seit dem 24. Februar 2022 ist klar, dass das Wissen um die einstige Systemkonkurrenz im Kalten Krieg wichtig ist für das Verstehen der bedrohlichen Weltsituation heute.
Uns bei der Stiftung Berliner Mauer geht es darum, an den uns anvertrauten historischen Orten die Dimension des kategorialen Unterschieds von einem Leben in Freiheit gegenüber einem Leben in der Diktatur deutlich zu machen. Diesen Gegensatz repräsentierte die Berliner Mauer mitten in Berlin, Deutschland und Europa. Die heutige Welt wird von vielfältigen Mauern beherrscht, die sich anders zeigen als die Berliner Mauer und die auch anders funktionieren. Wie bedroht die westlichen Freiheitswerte heute sind, zeigt mit ganzer Brutalität der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Antidemokratische Bewegungen und Aktionen zu benennen, gehört ebenso zu unserer Aufgabe wie die tägliche Erinnerung an die Opfer der Berliner Mauer.
Welche Rolle spielen die noch bestehenden Mauerreste heute im Berliner Alltag?
Mauerreste an unterschiedlichen Orten der Stadt verweisen auf die einstige schiere Existenz der Grenze. Eine Grenze, die als perfides Alleinstellungsmerkmal hat, dass sie von einem autoritären Regime gegen die eigene Bevölkerung gebaut wurde, um seine Existenz zu sichern. Die häufig schwer zu erkennenden bzw. schwer zu identifizierenden Mauerreste zeigen aber auch: Keine Mauer ist für die Ewigkeit gebaut, und der menschliche Wille zur Freiheit macht auch vor einem ausgefeilten, militärisch gesicherten Sperrsystem nicht halt.
Auf jeden Fall irritieren die häufig unauffälligen Mauerreste im Stadtraum und erinnern daran, dass Freiheit und Demokratie nicht selbstverständlich sind.
Im Dezember können wir uns auf den Band zur East Side Gallery, das erste Buch im neuen Design der Reihe, freuen. Was ist das Besondere der East Side Gallery im Vergleich zu anderen Gedenkorten?
Die East Side Gallery erinnert auch an das Leben in der geteilten Stadt und an mindestens 13 Menschen, die hier im Grenzfluss Spree ums Leben kamen. Sie ist darüber hinaus aber auch der Ort für den Moment der Euphorie, als die Mauer fiel und 118 Künstlerinnen und Künstler ihre hoffnungsfrohen wie sorgenvollen Botschaften für ein vereintes Europa auf die Ostseite der Berliner Mauer malten. Sie ist bereits seit 1991 eingetragenes Denkmal, aber trotzdem nicht in ihrer Gesamtheit erhalten geblieben, weil andere Interessen in der wachsenden Stadt schwerer wogen. Es sind diese Ambivalenzen, die die East Side Gallery – neben vielen anderen Unterscheidungskriterien zu anderen Mauerstätten – zu etwas Besonderem machen. Ambivalenzen, die vielfältige Perspektiven, Begegnungen und Austausch ermöglichen und weniger fertige Antworten liefern. An der East Side Gallery lässt sich konkret diskutieren, in welcher Gesellschaft wir leben möchten und woran wir erinnern wollen. Dabei ist die Kunst der Ausgangspunkt und bietet leicht greifbar Anknüpfungspunkte für eine Beschäftigung mit historischen Erfahrungsräumen und mit Fragen unserer Zeit.