
Ich gebe es lieber gleich zu: ich hatte vor der Lektüre dieses Buches so gut wie gar kein Wissen über unsere westlichen Nachbarländer. Von Augsburg aus, meinem Geburtsort, ist das auch alles ganz schön weit weg und im Urlaub ging es bei uns schon eher nach Österreich, Italien, Spanien – in den Süden halt! Unwissen hindert freilich nicht vor Klischeebildung, und oft fühlen sich diese Klischees ja auch wie Wissen an. Ein paar Beispiele: Die Holländer spielen bisweilen sehr schönen, aber in der Regel erfolglosen Fußball (und spucken dabei von Zeit zu Zeit), in Luxemburg nimmt man es mit den Steuern nicht so genau, und die Belgier? Du meine Güte … Da liest man in letzter Zeit manches von No-go-Areas, in denen sich Terroristen tummeln, von wallonischen »Quadratschädeln«, die internationale Handelsabkommen mindestens aufhalten, wenn nicht scheitern lassen (davor ziehe ich persönlich meinen Hut!), und auch im Fußball fühlte sich der ganze Hype rund um die belgische Nationalmannschaft ab einem gewissen Punkt irgendwie seltsam an. Dieses ständige Raunen vom »Geheimfavoriten«. Echt wahr? Belgien?! Passt für mich irgendwie nicht …
Ich begann also eher mäßig interessiert mit der Lektüre des Buches. Dreimal pro Woche pendle ich die Zugstrecke von Hamburg (meinem Wohnort) nach Berlin (meinem Arbeitsort) und habe daher ausreichend Zeit, in Manuskripte einzutauchen. Als Vertriebsleiter ist es vielleicht nicht zwingend erforderlich jedes Buch komplett zu lesen, aber das Verkaufen macht einfach viel mehr Spaß, wenn man weiß, worum es geht. »Urteil bedarf Sachkunde«, würde Christoph Links sagen. Recht hat er. Also Benelux …
Das Buch beginnt damit, dass es eigentlich Quatsch sei, ein Buch über Benelux zu schreiben. Aha. Keine oder nur wenig gemeinsame Geschichte, teilweise noch nicht einmal gemeinsame Grenzen und – am allerwichtigsten – Nullkommanull Zusammengehörigkeitsgefühl! Alles klar. Warum machen wir das Buch dann eigentlich? Die Erklärung dafür liefert Ute Schürings, die als interkulturelle Trainerin mit Schwerpunkt Benelux arbeitet, auf den folgenden 216 Seiten. Es ist bisweilen einfach nur köstlich, wie sie mit unseren Klischees spielt, sie erklärt, einordnet und in den allermeisten Fällen als totalen Humbug bloßstellt. Ihrer Einleitung über Verbindendes und Trennendes der Benelux-Staaten folgen drei »Mini-Länderporträts« über die Niederlande, Belgien und Luxemburg, in denen man viel Wissenswertes über Politik, Geschichte, Adel, Kultur, Alltag und Haute cuisine erfährt. Immer wieder werden auch Beispiele aus Ute Schürings Praxis als Trainerin in das Buch eingestreut. Kleine Kostprobe gefällig …?
»Da ich nun schon so lange mit den drei Ländern zu tun habe, ertappe ich mich allerdings manchmal dabei, dass ich einige der dort üblichen Verhaltensweisen übernommen habe: Auch in Deutschland möchte ich zu Beginn eines geschäftlichen Kontakts erst einmal ein bisschen warm werden mit meinem Gegenüber und erst dann zur Sache kommen. Auch hier schätze ich es mittlerweile sehr, wenn ein wenig gescherzt wird, jemand ein leichtes Understatement pflegt und alles ein wenig lockerer abläuft.
Manchmal geht es sogar so weit, dass ich, wenn ich bei einer bilateralen Besprechung dabei bin, am liebsten eine Gebrauchsanweisung für meine Landsleute mitliefern möchte. Etwa, wenn ein ansonsten freundlicher und kompetenter Deutscher gleich mit der Tagesordnung beginnt, ohne ein nettes Wort vorweg, um dann im zweiten Satz einen belgischen Vorschlag etwas oberlehrerhaft zu kritisieren – dann würde ich am liebsten im Hintergrund eine Schrift einblenden, um zu erklären: »Nicht abschrecken lassen, der ist eigentlich ganz nett.«
Mit der Zeit habe ich auch festgestellt, dass die typisch deutsche Sachorientierung im internationalen Vergleich eher die Ausnahme als die Regel ist. Durch die Wahrnehmung von außen blickt man eben auch anders auf sich selbst, hinterfragt bestimmte Verhaltensweisen und will wissen, wie diese besondere deutsche Mentalität denn eigentlich entstanden ist. Aber das ist ein anderes Thema.«
In diesem angenehm kurzweiligen Stil ist das gesamte Buch gehalten. Ich war damit durch, als ich in Hamburg ankam, und habe keine Minute bereut. Die Bezeichnung »Holland« ist übrigens tatsächlich falsch bzw. unpräzise. Holland ist eine westliche Provinz der Niederlande. Die Einwohner anderer Provinzen, etwa Gelderland im Osten oder Limburg im Süden, würden sich selbst nicht als Holländer bezeichnen. Wieder viel gelernt!