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Zeitgeschichte entdecken

Ch. Links Verlag empfiehlt Bücher der Aufbau Verlage #2

31. Mai 2022 von Gerrit ter Horst

Im Newsletter des Ch. Links Verlags geht es natürlich vor allem um die Bücher und Autor:innen, die unter gelb-schwarzer Flagge fahren. Aber da wir nun Teil der Aufbau Verlage sind, wollen wir über den Tellerrand schauen und Ihnen Bücher vorstellen, die in den Verlagen und Marken der Aufbau-Familie erschienen sind:

Sigrid Nunez, »Der Freund«

Erst mit ihrem siebten Roman wurde die Amerikanerin Sigrid Nunez für das deutschsprachige Publikum entdeckt. Für »Der Freund« erhielt sie 2018 den National Book Award und wurde von der New York Times gefeiert als »Titanin der amerikanischen Gegenwartsliteratur«.
Ein langjähriger Freund der Ich-Erzählerin begeht Selbstmord und hinterlässt ihr seinen Hund. Sie muss nun wohl oder übel ihr 45 qm-Apartment (in dem keine Tiere erlaubt sind) mit der 80 Kg schweren dänischen Dogge Apollo teilen. Unwillig und ratlos stellt sie sich der Aufgabe. Sie fühlt sich in ihrer Trauer gestört, bis sie entdeckt, dass der Hund nicht weniger verzweifelt ist als sie. Behutsam nähern sich die beiden an, finden Trost in der Gemeinsamkeit, können immer mehr aufeinander vertrauen.
»Der Freund« ist ein Buch über Tod, Trauer und Verlust, aber es ist vor allem ein Buch über das Leben. In ihren Erinnerungsfragmenten gibt die Autorin einen Einblick in eine besondere Beziehung zweier Menschen, die vielen Belastungen ausgesetzt war, aber alle Anfechtungen überdauert hat. Beide waren Schriftsteller, beide immer auf der Suche nach dem Sinn hinter dem Schreiben. Zwei Intellektuelle, kluge Beobachter der amerikanischen Gegenwart und scharfe Kritiker eines Literaturbetriebes, der nur noch nach der bestmöglichen Vermarktung schielt.
Sigrid Nunez bewegt ernste Themen mit einer Leichtigkeit und Eleganz, die ihresgleichen suchen.
Für alle Leser, die sich von diesem Buch faszinieren lassen, gibt es gute Neuigkeiten: Inzwischen ist auch Nunez‘ jüngster Roman (»Was fehlt dir«) im Aufbau Verlag erschienen.

Christa Wolf, Franz Fühmann, »Monsieur – wir finden uns wieder«. Briefe 1968-1984

Der Briefwechsel von Christa Wolf und Franz Fühmann zieht sich über die Jahre hin, als viele kritische Autorinnen und Autoren in der DDR in großer Bedrängnis waren. Die Ausbürgerung Wolf Biermanns und in der Folge Veröffentlichungsverbote, infamste Verleumdungen und die Demontage von Schriftstellerkollegen empören Wolf und Fühmann zutiefst. Immer mehr suchen sie die Nähe zueinander und den Gedankenaustausch. Davon zeugen ihre Briefe. Sie reden über ihre Arbeit, über Wirkungsmöglichkeiten und politischen Protest, befragen immer wieder ihr Gewissen, kämpfen gegen die Resignation, die sich in ihnen breit macht – mal bissig und spöttisch, mal tiefernst und verzweifelt.
»Wir brauchen einander, und wahrscheinlich ist es der Sinn dieser heillosen Epoche, dass sie uns zueinander rückt.« Das schreibt Fühmann 1979. Sie ermutigen einander, sind sich Berater, Korrektiv und Ideengeber. Und sie sehen sich in einer besonderen Verantwortung. »Christa, wie die Dinge jetzt liegen, wird es wohl an uns beiden liegen, eine Würde der Literatur zu repräsentieren, die nicht verloren gehen darf.«
Die Originalausgabe dieses Briefwechsels erschien bereits 1995 bei Aufbau und konnte nun durch den Zugang zu neu erschlossenen Archivalien beträchtlich erweitert werden. Vor allem die Kopien von Briefen »an die Obrigkeit«, die beide Schriftsteller austauschen, geben ein Bild von ihrer Unerschrockenheit. (»Mutlos lassen wir uns auch nicht machen. Dies ist eine Anweisung, Meister Franz.«)
Unbedingt erwähnt werden muss der vorzügliche Anmerkungsapparat der Herausgeberin Angela Drescher, der viele Zusammenhänge und Hintergründe erhellt.

– Kerstin Ortscheid

Volker Weidermann: »Brennendes Licht. Anna Seghers in Mexiko«

Sechs Jahre verbrachte Netty Radvanyi, geborene Reiling – damals wurde sie mit ihrem Roman »Das siebte Kreuz« (1942) als Anna Seghers weltberühmt – in Mexiko. In seinem schmalen Buch »Brennendes Licht. Anna Seghers in Mexiko« zeichnet Volker Weidermann in teils mutiger Vermischung von Fakten und Fiktionalem eine biografische Skizze der Schriftstellerin. Darüber hinaus entsteht ein Bild über den kleinen Kosmos der deutschen, meist jüdischen, kommunistischen Exilanten um Egon Erwin Kisch, Ludwig Renn, Bodo Uhse und viele andere.

All die Widersprüche in ihr und im kommunistischen Lager, das Ringen mit dem Stalinismus, die Enttäuschung über den Hitler-Stalin-Pakt, mögen dazu beigetragen haben, dass Anna Seghers später als staatstreue Schriftstellerin in der DDR »vereiste«, wie sie einmal an ihren Freund Georg Lukács schrieb. »Nicht, weil ich nicht mehr in den Tropen bin, sondern weil viel Sachen ganz beklemmend und ganz unwahrscheinlich frostig für mich sind.« Dabei war sie nicht nur »linientreu. Sie war die Linie selbst.«

Die Rückkehr nach Deutschland zögerte Anna Seghers lange heraus, obwohl sie sich stets zurücksehnte und kein Spanisch lernte. Erst im April 1947 traf Anna Seghers nach einer längeren Reise über New York, Schweden und Paris in Berlin ein.

Was Weidermann in seinem Nachwort andeutet, kann man in Sonia Combes Buch »Loyal um jeden Preis« genauer nachlesen, das im Mai in der Übersetzung von Dorothee Röseberg bei uns im Ch. Links Verlag erscheint. Hier erfahren wir, warum Anna Seghers und viele andere sogenannte Westremigranten, Intellektuelle und Kunstschaffende, sich für die Sowjetische Besatzungszone bzw. die DDR entschieden und wie sie zwischen Hoffnung und Enttäuschung hin und her gerissen wurden. Auch hier galt, was Arthur Koestler schrieb (zitiert nach Weidermann): »Drinnen (innerhalb der Partei) mochte man streiten, schimpfen, sich glücklich oder unglücklich fühlen; aber das Nest zu verlassen, wie beengend und stickig es manchmal auch scheinen mochte, war undenkbar geworden. Alle ›geschlossenen Systeme‹ bewirken eine fortschreitende Entfremdung derer, die darin leben, von der Außenwelt.« 1983 verstarb Anna Seghers 82-jährig in Berlin und wurde auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof beigesetzt. Weidermanns Buch ist auf jeden Fall eine Anregung, die große Schriftstellerin Anna Seghers (wieder) zu lesen.

– Jana Fröbel

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