Die Debatte um den Umgang mit geraubten Kulturgütern ist weiterhin hochaktuell. Bislang hatte sich die Frage um Raubgut und Restitution vor allem auf den afrikanischen Raum bezogen. Doch wie sieht es mit den Kulturgütern aus, die aus dem ehemaligen Osmanischen Reich nach Europa gekommen sind? In »Die Schatzjäger des Kaisers« thematisieren Jürgen Gottschlich und Dilek Zaptcioglu-Gottschlich wie deutsche Archäologen die schwache Position der osmanischen Machthaber geschickt ausgenutzt haben, um Kunstschätze von immensem Wert nach Deutschland zu schaffen. Sie werden nun vor allem im Pergamonmuseum ausgestellt. Das Buch erzählt diese Geschichte und wirft Fragen auf. Ein Auszug:
Bis heute gelten die Pioniere der Archäologie als Helden der Wissenschaft. Die Ausgräber des 19. Jahrhunderts, die Männer – es handelte sich fast ausschließlich um Männer –, die am Nil in Ägypten, in den Wüsten Mesopotamiens oder in der Wildnis rund um die Ägäis jahrtausendealte Kulturen wieder ans Licht brachten, gelten weithin als verwegene Aufklärer, die oft unter Einsatz ihres Lebens vergangene Kulturen freigelegt, entschlüsselt und tote Sprachen wieder zum Leben erweckt haben.
Fast alle rühmten sich damit, für die Wissenschaft und das menschliche Verständnis der eigenen Geschichte unersetzliche Artefakte ans Licht gebracht und damit oft genug vor den dort beheimateten Barbaren gerettet zu haben. Denn den Menschen, die im 19. Jahrhundert an den Stätten der antiken Hochkulturen lebten, also in Ägypten, Griechenland und der heutigen Türkei, wurde unterstellt, dass sie ignorant und unwissend seien und ausschließlich am materiellen Wert der antiken Vergangenheit Interesse hätten.

Doch diese Schwarz-Weiß-Erzählung muss historisch durchleuchtet und vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Tatsächlich haben die Großen der Archäologie Enormes geleistet, oft auch unter Einsatz von Leib und Leben. Doch ging es dabei nie nur um rein wissenschaftliche Erkenntnisse, diese waren eher ein Beiprodukt des eigentlichen Zieles, dem Erwerb von antiken Schätzen. Die Kunst und die Kulturgüter der alten Ägypter, der Babylonier und Assyrer, Perser und frühen Griechen waren Repräsentations- und Machtobjekte der europäischen Großmächte, zu denen sich am Ende des 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts noch die US- Amerikaner hinzugesellten. Angefangen von Napoleons Feldzug nach Ägypten 1798 bis zum Ende des Ersten Weltkrieges dienten die Suche und spätere Präsentation möglichst eindrucksvoller antiker Artefakte am eigenen Hof, später in extra geschaffenen kaiserlichen oder königlichen Museen, dem Ruhm der jeweiligen Dynastie und der um Macht und Einfluss wetteifernden europäischen Länder.
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Deshalb sollte heute diskutiert werden, wie mit dem Erbe dieser Epoche von nicht einmal 100 Jahren, in der die europäischen Großmächte den Kunstraub im Orient als offizielle Politik betrieben, am sinnvollsten umgegangen werden kann. Das Ziel dabei muss sein, die antiken Schätze und das Verständnis für die Frühgeschichte der Menschheit möglichst vielen Nachgeborenen von heute nahezubringen.