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DEFA: Pathenheimer

28. November 2016 von Jana Fröbel

»Gritta von Rattenzuhausbeiuns«, so heißt ein DEFA-Film aus dem Jahr 1984, den ich im letzten Jahr mit meiner fünfjährigen Enkeltochter bestimmt vier-, fünfmal gesehen habe. Ich bin immer wieder begeistert von der Sorgfalt und dem hohen Anspruch der Babelsberger Kinderfilmproduktionen. »Gritta« ist ein poetischer, zauberhafter, assoziationsreicher Märchenfilm von Jürgen Brauer nach einer Vorlage von Bettina und Gisela von Arnim (Drehbuch Christa Kozik). Ob Kinderfilme oder »Das Kaninchen bin ich« oder »Jahrgang 45« – beide Filme erschienen vor nicht allzu langer Zeit in einer Box mit Filmen, die 1965 in der DDR verboten worden waren – oder die »Indianerfilme« aus den Babelsberger Studios: Schon auf dem DVD-Cover, auf Plakaten und in Publikationen (wie dem dicken Band »Spur der Filme« aus unserem Verlag) machen uns Fotografien auf die Filme neugierig oder rufen Erinnerungen wach.

Über das Signum »DEFA: Pathenheimer«, das kleingedruckt an vielen Fotos steht, denken die meisten wohl nicht weiter nach. Anders Anna Luise Kiss und Dieter Chill: Der Kameramann und Autor Chill hatte die Standfotografin Waltraut Pathenheimer 1987 bei der Produktion von »Das Herz des Piraten« kennengelernt und wusste natürlich um die Aufgaben eines Stand- bzw. Filmfotografen und dass Waltraut Pathenheimer die erste Frau war, die diesen Beruf im DEFA-Studio für Spielfilme ausübte. Vor etwa einem Jahr begannen er und die Kultur- und Medienwissenschaftlerin Anna Luise Kiss einen wahren fotografischen Schatz zu heben. Denn Waltraut Pathenheimer hat keine Filmgeschichtsillustration betrieben, sondern ein eigenständiges künstlerisches Werk geschaffen.

Standfotos sind natürlich keine aus dem Filmstreifen herausvergrößerten Einzelbilder und sie entstehen auch nicht »nebenbei«. Oft müssen Szenen nach dem Dreh etwas anders arrangiert und nachgestellt werden, um sie in ein Foto zu »übersetzen«. Um Fotos zu machen, die »die Zuschauer anlocken«, ins Kino zu gehen, musste Waltraut Patheheimer, wie sie selbst sagte, »gucken und wenn du dran bist, sagen, was du willst, und wenn die Schauspieler schon halb weg sind, um draußen eine zu rauchen, dann musst du dafür sorgen, dass sie bleiben und emotional wieder da sind«. Und dem Manfred Krug auf dem Szenenbild von »Das Versteck« (1977) sieht man an, dass Waltraut Pathenheimer ihn wirklich hat rennen lassen …

Manfred Krug in »Das Versteck« (1977) ©Waltraut Pathenheimer
Manfred Krug in »Das Versteck« (1977) ©Waltraut Pathenheimer
Helmut Schreiber, Fred Delmare u.a. in »Spur des Falken« (1968) ©Waltraut Pathenheimer
Helmut Schreiber, Fred Delmare u.a. in »Spur des Falken« (1968) ©Waltraut Pathenheimer
Gudrun Okras u.a. in »Wo andere schweigen« (1984) ©Waltraut Pathenheimer
Gudrun Okras u.a. in »Wo andere schweigen« (1984) ©Waltraut Pathenheimer
Ilja Kriwoluzky, Nadja Klier und Marc Lubosch in »Gritta von Rattenzuhausbeiuns« (1984) ©Waltraut Pathenheimer
Ilja Kriwoluzky, Nadja Klier und Marc Lubosch in »Gritta von Rattenzuhausbeiuns« (1984) ©Waltraut Pathenheimer

Mit etwa 190 Schwarz-Weiß-Fotos wird in diesem Buch natürlich nur ein kleiner Teil von tausenden Fotografien gezeigt, die Kiss und Chill im Verlauf des letzten Jahres in den Sammlungen des Filmmuseums Potsdam und der DEFA-Stiftung sowie bei Waltraut Pathenheimer zu Hause sichteten. Wie nähert man sich einem solch großen Œuvre von etwa 80 Filmproduktionen in fast vier Jahrzehnten? Kiss und Chill haben sich für eine äußerst interessante, nämlich eine motivisch-thematische Präsentation entschieden. So werden all die (kultur)politisch relevanten Themenfelder erfasst, die für die Filme des DEFA-Studios für Spielfilme kennzeichnend waren: die Auseinandersetzung mit der Geschichte, insbesondere mit dem Nationalsozialismus und dem Zweiten Weltkrieg, der Versuch, eine sozialistische Gesellschaftsordnung aufzubauen, und natürlich die Darstellung des widersprüchlichen DDR-Alltags. So kristallisierten sich im Laufe der Arbeit 15 Rubriken heraus.

Unter der Überschrift »Küsse« beispielsweise gibt es eine Doppelseite mit 18 Fotos: Jaecki Schwarz küsst Jutta Hoffmann, Angelika Waller küsst Götz George; Katrin Sass’ und Martin Seiferts Münder trennen nur zwei Zentimeter, ebenso Manfred Krug und Jutta Hoffmann. Oder zwei etwa zwölfjährige Jungs küssen sich, weil das Ziel ihrer Begierde, Gritta von Rattenzuhausbeiuns, sich gerade abgeduckt hat.

Viele Entdeckungen kann man in diesem Buch machen: So sieht man in »Wo andere schweigen« (1984) den in einer Babelsberger Halle nachgebauten Reichstagssaal. Oder am Rande eines Szenenfotos von »Jahrgang 45« (1966) in der Regie von Jürgen Böttcher, später bekannt als Strawalde, steht der heute berühmte Künstler A.R. Penck, damals noch Ralf Winkler. Neben den bereits erwähnten Schauspielerinnen und Schauspielern begegnen wir Rolf Ludwig, Kurt Böwe, Christian Grashof, Gojko Mitić, Dagmar Manzel, Annekathrin Bürger, Ursula Werner, Hermann Beyer und Ekkehard Schall, aber auch Stars aus dem Westen: Götz George, Gérard Philipe und Otto Sander. Und es gibt viele Anregungen für Filme an langen Winterabenden.

Neben dem großen Bildteil gibt Dieter Chill einen Überblick über Waltraut Pathenheimers beruflichen Werdegang und ihre Arbeit bei der DEFA, und Anna Luise Kiss geht der Verwendungsgeschichte von Filmfotos in der DDR nach. Armin Mueller-Stahl, der bei Frank Beyers »Königskinder« und »Nackt unter Wölfen« (beide 1962) auch vor Waltraut Pathenheimers Kamera stand, schrieb das Geleitwort.

Am 16. Dezember 2016, 18 Uhr, wird eine Ausstellung von Filmfotografien Waltraut Pathenheimers im Zentrum für Medienwissenschaften in Potsdam eröffnet, zusammen mit der Buchpremiere. Die Laudatio hält die Darstellerin der Gritta von Rattenzuhausbeiuns von 1984, Nadja Klier, die inzwischen selbst eine bekannte Filmfotografin ist.

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