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Zeitgeschichte entdecken

Vietnam

13. Juli 2017 von Heike Baldauf

Heike Baldauf reiste 1979 zum ersten Mal nach Vietnam. Inzwischen ist die pulsierende Hauptstadt Hanoi zu ihrer zweiten Heimat geworden. Sie schreibt für verschiedene deutschsprachige Medien und leitet auch Studienreisen nach Vietnam. 2016 erschien ihr Buch »Vietnam. Ein Länderporträt« im Ch. Links Verlag.

Wieder ein Abschied von Hanoi

Tausende Mopeds am Tag - Straßenverkehr in Hanois Altstadt © Heike Baldauf
Tausende Mopeds am Tag – Straßenverkehr in Hanois Altstadt © Heike Baldauf

Ich bin auf dem Weg in eines der hübschesten Cafés der Altstadt. Abseits der vom Verkehr überfluteten Straßen liegt es in einer Gasse mit drei Ausgängen. Ein stiller, beschaulicher Ort, mit typischen schmalen Hauseingängen, vor denen exotische Vögel in Käfigen singen. Nur die Anwohner setzen sich hier auf ihre Mopeds. Händlerinnen kommen vorbei, in Trippelschritten, schwer tragend an ihrer Last aus taufrischem Gemüse, Obst und Blumen der alten Dörfer um Hanoi. Lautstark rufen sie ihre Waren aus. Die Frauen erhoffen sich ein gutes Geschäft mit den zahlreich am Wegesrand ansässigen Restaurantbesitzern. Touristen schlendern über das löchrige Pflaster, bleiben stehen, lesen ausgelegte Menükarten. Streetfood gibt es hier an jeder Ecke.

Schülerinnen beim Selfie - fast alle haben ein Handy © Heike Baldauf
Schülerinnen beim Selfie – fast alle haben ein Handy © Heike Baldauf
Das Café erstreckt sich über zwei Etagen einer alten französischen Villa. Gelb ist die Farbe der Kaiser, der Macht. Gelb ist auch der Anstrich des Hauses, zu dem ein Hof gehört, umrankt vom üppigen Grün der Subtropen. Ein kleiner runder Tisch für zwei ist noch frei, draußen vor der weit offen stehenden Flügeltür. Ich bestelle einen landestypischen heißen Milchkaffee*, dazu ein Stück Zitronentorte und einen Mangojuice, frisch zubereitet natürlich und nicht aus der Dose. Die hübsche gertenschlanke Bedienung lächelt. Ich lächle zurück. Alle sind jung, das Personal und die Gäste auch. 70 Prozent der über 90 Millionen Vietnamesen sind noch keine 30. Sie sind hungrig nach Wissen, nach gut bezahlten Jobs, die einen Lebensstandard wie im Westen versprechen. Sie orientieren sich an der Mode, an der Technik, die aus Japan, Südkorea, Amerika und Europa kommen. Made in Germany steht für Qualität und hat in ganz Südostasien, nicht nur in Vietnam, einen Ruf zu verlieren.

Spielerisch die Welt der Erwachsenen erkunden - Kinder in Vietnam lernen früh das Fortbewegungsmittel Nummer 1 kennen © Heike Baldauf
Spielerisch die Welt der Erwachsenen erkunden – Kinder in Vietnam lernen früh das Fortbewegungsmittel Nummer 1 kennen © Heike Baldauf

Ein junges Paar betritt das Café. Er, das lange dichte Haar zum Zopf zusammengebunden, bietet ihr galant einen Stuhl an. Ihre weiße Bluse aus Chiffon betont ihre Grazie. Die beiden bestellen Espresso, holen ihre Laptops hervor. Die Finger der jungen Frau fliegen über die Tastatur, als würde sie ein Stück von Chopin spielen. Eine Gruppe junger Frauen am Nachbartisch tuschelt. Sie rauchen.

Hier gibt es keine Binh’s und Hung’s. Die Namen stehen für Frieden und Held und für meine Generation, die der 1960er und 1970er Jahre, der Kriegsjahre in Vietnam. Sie würden sich hier auch nicht wohlfühlen, unabhängig davon, ob sie drei Dollar für ein Stück Torte bezahlen könnten oder nicht.

Blumenhändlerinnen in der Altstadt - ihre Ware schmückt oft den Ahnenaltar © Heike Baldauf
Blumenhändlerinnen in der Altstadt – ihre Ware schmückt oft den Ahnenaltar © Heike Baldauf

Das Haus mit seinem schönen Innenhof ist ein kreativer, intellektueller Ort. Die Atmosphäre ist lässig, der Kaffee stark, mit einem Aroma, das an bittere Schokolade erinnert. Hier trägt Mann Hemden von Van Laak, die in Hanoi produziert werden. Frauen High Heels, dazu kurze schicke Röcke. Der Service ist aufmerksam, aber nicht aufdringlich. Trinkgeld wird in vietnamesischen Restaurants nirgendwo erwartet.

Ich bezahle und gehe zurück zum Hotel. Dort sitzt ein Schuhputzer vor der Tür. Sein Blick geht auf meine Schuhe – Sandalen. Kein Geschäft für ihn heute. Ein paar Schritte von ihm entfernt zappeln Fische in einer Schüssel, die eine Händlerin auf den Boden gestellt hat. Sie nimmt eines der Tiere heraus und schlägt ihm vor meinen Augen mit einem Beil den Kopf ab. Das noch zappelnde Tier landet in einer Plastiktüte, die ein alter Mann mit sich nimmt.

Absolventinnen der Uni - anders als ihren Eltern steht ihnen nach dem Studium die Welt offen © Heike Baldauf
Absolventinnen der Uni – anders als ihren Eltern steht ihnen nach dem Studium die Welt offen © Heike Baldauf

In der Lobby wartet die Tochter meiner Freundin auf mich. Sie fährt ein Moped mit Elektromotor, bestellt ihre Einkäufe über eine App und lässt mich wissen, dass das Taxi zehn Minuten später kommt – Stau. Nichts Neues also. Die Autobahn zum Flughafen ist sechsspurig. Ich werde meinen Flieger erreichen.


* = Cà phê sữa nóng
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