
»So geht sächsisch«, heißt die offizielle Standortkampagne des Freistaats Sachsen. Auf deren Internetseite steht dazu der Satz: »Ja, Sachsen hat manch unschöne Schlagzeile geliefert. Aber: Sachsen ist so viel mehr!«
Aber wie geht eigentlich sächsisch? Und muss die Frage nicht zugespitzt eher lauten: Geht’s noch, Sachsen?
Wir haben uns mit dem Buch »Unter Sachsen« an eine Bestandsaufnahme der sächsischen Verhältnisse im Jahr drei nach Beginn der Pegida-Aufmärsche gemacht. Ausgeleuchtet werden zum einen die Entstehungsgeschichte und die zahlreichen Facetten der neuen Bewegung von rechts, deren Einflüsse auf das Leben der Menschen vor Ort sowie der politische und mediale Diskurs, der den Boden bereitet hat für ein Klima des Hasses, mit dem vor allem Migrantinnen und Migranten sowie Flüchtlinge konfrontiert sind, aber auch alle, die sich für demokratische Werte engagieren.
Zum anderen beschreiben viele Beiträge im Buch die Voraussetzungen für die drohende weitere Radikalisierung von Teilen der rassistischen Bewegung und ihrer Wortführer und Wortführerinnen – bei der AfD ebenso wie bei der außerparlamentarischen extremen Rechten. Die gesellschaftliche Spaltung, die in den Vor-Ort-Reportagen zutage tritt, gibt es nicht nur in Sachsen, aber dort eben besonders ausgeprägt. Das gilt sowohl für den Kampf um die Straße, die zunehmende Bewaffnung und wachsende Anzahl militant agierender Gruppen als auch für den Kampf um die Köpfe und die Parlamente.
Verfasst wurden diese Beiträge von ausgewiesenen Expertinnen und Experten, die sich seit Jahren mit den politischen Verhältnissen in Sachsen beschäftigen: journalistisch, wissenschaftlich oder in zivilgesellschaftlichem Engagement.
Darüber hinaus haben wir mehr als drei Dutzend Autorinnen und Autoren gebeten, die »Warum Sachsen?«-Frage aus sehr unterschiedlichen Perspektiven zu beantworten. Zu Wort melden sich unter anderem der ehemalige CDU-Bürgermeister Carsten Michaelis in Jahnsdorf im Erzgebirge, die in Leipzig lebendende Bloggerin Nhi Le, der syrische Journalist Tarek Khello oder die Opernsängerin Iris Stefanie Maier, die 1997 aus Heilbronn nach Dresden gezogen ist. Um nur einige Beispiele zu nennen.
Das Buch vereinigt so nicht nur beeindruckende und oft bedrückende Innenansichten der sächsischen Verhältnisse, sondern gibt auch eine große Vielfalt an Perspektiven und Positionen wieder.
Denn es geht uns nicht um »Sachsen-Bashing« – wie es von manchen Medien und Politikern in Sachsen gern beschworen wird, um Kritik an unhaltbaren Zuständen pauschal abzuwehren. Ein Beispiel von vielen: Im August 2015 empörte sich die »Sächsische Zeitung« über ein »äußerst wohlfeiles Sachsenkeulenschwingen vieler Medien«. Das »Ossi-Bashing vieler Deutscher im Allgemeinen und das Sachsen-Dissen im Besonderen« hätten »Dimensionen angenommen wie seit den frühen Neunzigern nicht mehr«. Am Tag des Erscheinens des Artikels begannen die Krawalle von Heidenau – eine Notunterkunft für Flüchtlinge wurde unter den Augen einer entsetzten bundesweiten Öffentlichkeit über drei Tage von einem rassistischen Mob belagert.
Wichtig ist uns der Hoffnungsschimmer, der sich trotz allem durch viele Beiträge in diesem Buch zieht: Das Selbstbewusstsein und die Kreativität derjenigen, die ihre Vorstellungen von einer demokratischen, offenen und pluralen Gesellschaft verteidigen, können auch all jenen eine Orientierung bieten, die auf der Suche nach einer echten gesellschaftlichen Alternative sind.
Deshalb ist »Unter Sachsen« eine Einladung zur Debatte und zum Gespräch – über unterschiedliche Perspektiven, geteilte Werte und das Aushalten von Verschiedenheit. Die ersten Reaktionen stimmen positiv und lassen hoffen, dass die inhaltliche Auseinandersetzung, die immer Voraussetzung für Veränderungen ist, von vielen angenommen wird.
Mit einer Einschränkung: Für die Diskussionsrunden zur Vorstellung des Sammelbandes fanden allein die angefragten CDU-Politiker keine Zeit und die Landesvertretung Sachsen in Berlin keinen Termin.
Nun wird in Berlin u.a. der stellvertretende Ministerpräsident und SPD-Landesvorsitzende von Sachsen Martin Dulig zur Buchpräsentation kommen, am 30. März um 19 Uhr in der Landesvertretung Thüringen(!).